The 1975
Being Funny In a Foreign Language
Album · Alternative · 2022
Nach zwanzig Jahren als Band – und kurz vor dem zehnjährigen Jubiläum ihres größten Erfolgs – fühlen sich The 1975 besser in Form als je zuvor. Selbstreflexion, Abstinenz und nicht zuletzt ihre Vaterrollen haben die Herangehensweise der vier Musiker an ihr fünftes Studioalbum beeinflusst. Das Ergebnis sind elf Songs, die die Kunst von The 1975 auf den Punkt bringen, ohne das Gefühl zu vermitteln, dass sie sich auf altbekannten Pfaden bewegen. „Der Arbeitstitel war ‚At Their Very Best‘, bis ich gekniffen habe“, sagt Sänger und Gitarrist Matty Healy gegenüber Apple Music. „Ich hatte Angst, dass wir mit Sonnenbrillen und Anzügen auftauchen und es wie ein Scherz aussehen könnte. Ich mache keine Witze.“
Und das wäre gar nicht so abwegig gewesen. Healy hat sich den Ruf erarbeitet, auf eine Pointe hinzuarbeiten – in seinen Texten, in Gesprächen und in den sozialen Medien. Aber für dieses Album legt er er diesen Schutzmechanismus (größtenteils) beiseite und reduziert die bissigen Kommentare über die Gesellschaft, die frühere Alben auszeichneten, zugunsten von Tracks, die das Herz berühren. „Meine Arbeit ist geprägt von Postmoderne, Nihilismus, Individualismus, Sucht, Not und all diesen Themen“, sagt Healy. „Wenn du etwas älter wirst, stellt dich das Leben vor andere Fragen, wie zum Beispiel: Verantwortung? Familie? Erwachsenwerden im Allgemeinen? Das sind weniger sexy, weniger grenzüberschreitende Ideen. Es wäre einfach, eine weitere Platte zu machen, auf der ich clever und lustig bin. Was schwer ist, ist einfach nur authentisch und superoffen zu sein.“
„Being Funny In a Foreign Language“ ist ein klarer Beweis dafür, dass sich diese 20 gemeinsamen Jahre und die gesammelten Erfahrungen ausgezahlt haben. „Zum ersten Mal sind wir gleichzeitig richtig gute Künstler und richtig gute Produzenten und erwachsene Männer“, sagt Healy. „Es war der beste Zeitpunkt für dieses Album, um nicht nur zu unterstreichen, sondern auch zu feiern, wer wir sind. Es war eine Selbstanalyse und dann eine Neuerfindung.“ Hier führt er uns durch diese Neuerfindung, Track für Track.
„The 1975“
Auf den ersten drei Alben war „The 1975“ eine neue Version desselben Musikstücks. So wie auf dem Sega Mega Drive, wo du das Spiel starten und den Sound hochladen musst. Auf diesem Album dient es nicht nur als Konzept, sondern auch als Status-Update. Auf unseren vorherigen Alben ging es immer um das kulturelle Umfeld, aber hier entwerfe ich gleich zu Beginn ein Szenario und der Rest des Albums handelt davon, wie ich in diesem Umfeld lebe und wie schwierig es ist, die großen Ideen von Liebe, Heimat, Erwachsenwerden und so weiter zu verfolgen.
„Happiness“
Mit „Happiness“ würdigen wir eine bestimmte lyrische und klangliche Identität von The 1975. Es wäre keine The 1975-Platte, wenn wir nicht einen Song hätten, der das beinhaltet, was wir am besten können. Die Sache ist die, dass wir eigentlich nicht sehr 80er waren; wir haben einfach eine Menge Sounds benutzt, die Grunge und Britpop unmodern gemacht haben, weil sie mit Phil Collins oder wem auch immer assoziiert wurden, aber wir fanden: „Nein, das klingt besser als das.“ Es ist eine Live-Platte, also gibt es eine Menge Call-and-Response, eine Menge Wiederholungen, weil wir zusammen in einem Raum gejammt haben.
„Looking For Somebody (To Love)“
Wenn ich über Waffen spreche, sollte ich wohl über das sprechen, was ich am besten verstehe oder nachempfinden kann: nämlich, dass das einzige Vokabular oder Mittel, das wir Jungen an die Hand geben, um ihre Position zu behaupten, ein Vokabular der Gewalt und Zerstörung ist. In einer Zeile heißt es: „You’ve got to show me how to push/If you don’t want a shove“ („Du musst mir zeigen, wie man zuschlägt / wenn du nicht geschlagen werden willst“). Was ich damit sagen will: Wir müssen versuchen, diese Problematik in den Griff zu bekommen, denn es gibt so viele junge Männer, die keine wirkliche Orientierung haben, und wenn wir unsere Art, mit ihnen zu kommunizieren, nicht ändern, ist eine toxische Männlichkeit unvermeidlich.
„Part of the Band“
Ich bin einfach meinem Instinkt gefolgt. Im Grunde weiß ich gar nicht, worum es in dem Song geht. Es war einfach diese Gewissheit, dass ich reden kann, und das war okay und es machte Sinn. Ich musste nichts präzisieren. Ich habe einen Freund, der sich viel besser ausdrücken kann als ich, und es ist mir schon so oft passiert, dass er mir meine Texte verständlicher erklärt hat, als ich es je könnte. Ich habe gelernt, dass ich mich hinsetzen und fünf Stunden lang erklären kann, was ich meine, aber ich glaube nicht, dass ich das muss. Ein Film fängt nicht damit an, dass man erklärt, was passieren wird; er beginnt mit einem Gespräch, und man versteht sofort, was los ist. In diesem Song gibt es also eine Ebene der Abstraktion, bei der ich dem Publikum den Vorteil des Zweifels einräume.
„Oh Caroline“
Der Refrain dieses Liedes kam mir als Erstes in den Sinn: „Oh Caroline/I wanna get it right this time/’Cos you’re always on my mind“ („Oh Caroline / Ich will es diesmal hinbekommen / Denn ich muss immer an dich denken“) – und er fühlte sich einfach sehr allgemeingültig an. Ich dachte mir: „Okay, es muss nicht um mich gehen. Es muss nicht heißen: ‚Ich war in Manchester in meinen Skinny Jeans.‘ Man muss eine Geschichte nicht erlebt haben, um sie zu schreiben. Caroline ist, wer immer du willst – du kannst jeden Namen verwenden. Manchmal nennen wir Songs wie diesen „Song“, weil sie von anderen Leuten gecovert werden können und trotzdem einen Sinn ergeben. Nun ja, „getting cucked“, „I don’t need it“ sind seltsame Formulierungen für jemand anderen, aber es ist schon nah dran.
„I’m In Love With You“
Ich wollte, dass der Track wie ein typischer Song von The 1975 klingt. Ich wollte die Ernsthaftigkeit abschwächen. Aber [Gitarrist Adam] Hann und George [Daniel, Schlagzeuger] haben mich wirklich herausgefordert, also dachte ich mir: „Okay, was soll’s. Ich schreibe einfach einen Song über das Verliebtsein.“ Zu der Zeit war ich in einer Beziehung mit einem Schwarzen Mädchen, das so wunderschön war und in das ich verliebt war, und es gab all diese Dinge, die mich beschäftigten – vor allem im Hinblick auf das politische Klima der letzten zwei Jahre –, die man nur aus Erfahrung und dem Zusammenleben lernen kann. Unser Badezimmer war zum Beispiel voller spezieller Hautpflegeprodukte und so weiter. Dinge, die man nicht einfach im [britischen Drogeriemarkt] Boots kaufen kann. Die Zeile „You show me your Black girl thing/Pretending that I know what it is (I wasn’t listening)“ entstand in dem Moment, als sie über etwas sprach, wovon ich kulturell keine Ahnung hatte, und ich nur dachte: „Ich bin in dich verliebt.“ Vielleicht hätte ich mich darauf konzentrieren sollen, aber in diesem Moment war mir alles Kulturelle oder Politische egal. Ich war einfach verliebt.
„All I Need To Hear“
„All I Need To Hear“ ist bezogen aufs Songwriting vielleicht einer meiner besten Songs. Ich war in einer großen Paul Simon-Phase und habe versucht, etwas Ähnliches wie in „Still Crazy [After All These Years]“ zu schreiben. Er kann genauso wortreich sein wie ich, aber dieser Song war wirklich sehr vielsagend. Fast wie ein Wiegenlied. Ich wollte etwas schreiben, das ernsthaft und aufrichtig ist und nicht unbedingt von mir vorgetragen werden muss. Ich hoffe fast, dass der Song gecovert wird und dass die dann die endgültige Version wird.
„Wintering“
Das ist eher eine Vignette, im Prinzip eine kleine Geschichte, die ein bestimmtes Bild zeichnet, aber nicht wirklich viel darüber aussagt, wo ich mich befinde. Es geht um meine Familie und es ist eine Art Weihnachtslied. Aber es ist auch ein Song, den man gut nachempfinden kann: Jede:r kennt das Gefühl, zu Weihnachten nach Hause zu kommen. Dass man es will und irgendwie doch nicht, aber muss. Und dass man die ganze Zeit fahren muss und all das. Andere Teile des Albums ergeben etwas mehr Sinn, auch wenn sie etwas abstrakter sind, aber „Wintering“ ist einfach dieser kurze Moment und das finde ich wirklich schön.
„Human Too“
Es gibt Zeilen auf der Platte, in denen ich über Ablehnung spreche und zugebe, dass es etwas war, mit dem ich zu tun hatte. Es gibt keine wahnsinnige Hetzkampagne. Niemand macht sich die Mühe, mein Leben nur so aus Spaß zu ruinieren, so wie es bei Meghan Markle der Fall ist. Aber es tut weh, wenn es passiert, und das ist das erste Mal, dass ich sage: „Es betrifft mich ein bisschen. Ich verstehe es ja, ich bin ein chaotischer Mensch ... aber ich bin ein guter Mensch. Mach mal eine kleine Pause.“ Ich war bei diesem Song skeptisch, weil ich nicht selbstmitleidig klingen wollte, aber er funktioniert, weil es wirklich nur um Empathie geht und darum, dass wir uns als Menschen gegenseitig einen Vertrauensvorschuss geben sollten. Wir sind alle Menschen – lass uns nicht so tun, als ob wir keine Fehler machen würden.
„About You“
Warren Ellis von Nick Cave & The Bad Seeds kam zu uns, um das Arrangement für diesen Song zu machen. Es war wirklich einfach – es klang im Grunde wie „With or Without You“ – und er hat es total schräg und Shoegaze-mäßig gemacht. Obwohl der Song in Dur gehalten ist, verpasste er ihm diesen Grusel-Touch, der meinen Teil weniger romantisch macht, weil alles zusammengewürfelt und gewalttätig ist. Ich finde, der Song hat einen ähnlichen Vibe wie „Inside Your Mind“ vom dritten Album. Ich habe diese Art von [David] Cronenbergs Körper-Horror-Analogien immer geliebt, die Spannung zwischen Tod und Sex. Ich finde, dass das Mürrische sehr sinnlich sein kann – und davon gibt es in meiner Arbeit eine ganze Menge.
„When We Are Together“
Das Album war schon fertig. „About You“ war der elfte Track, vorher gab es einen zehnten Track namens „This Feeling“. Aber wegen dem, worum es in dem Song ging, und auch aus klanglichen Gründen, sagte ich: Der Song kommt nicht auf das Album. Aber wir mussten in vier Tagen abliefern. Also sagte ich, wenn ich morgen nach New York kommen könnte und Jack [Antonoff] mit einem Schlagzeug und einem Bass in der Nähe wäre, hätte ich einen halbfertigen Akustiksong, der sich besser für die Platte eignen würde. Das Album musste fertig werden und das war es in diesem Moment nicht – und irgendwie gab es keine richtige Entscheidung. Also ging ich da raus, ein bisschen wie mit einem gebrochenen Herzen nach einer Trennung – und das Lied wurde in 30 Stunden geschrieben, aufgenommen und abgemischt. Es ist das perfekte Beispiel dafür, wie es war, dieses Album zu machen. Bei The 1975 stand immer die Frage im Raum, ob sie sich trennen werden oder nicht. Werden sie sich auflösen? Wird Matty durchdrehen? So etwas in der Art. Alles von mir erfunden. Aber ich habe damit aufgehört und betrachte es eher als eine Fortsetzung deiner Lieblingsgeschichte. Oder wie die Staffeln einer Fernsehserie. „When We Are Together“ ist das Ende dieser Staffel.